Wenn von Skandalen im Hochleistungssport die Rede ist, denkt man oft an Doping, sexuellen Missbrauch oder finanzielle Korruption. Weniger Beachtung finden jedoch die politischen Zwänge und Gängeleien, denen Sportlerinnen und Sportler durch ihre Regierungen ausgesetzt sind. Drangsalierungen von Athletinnen und Athleten, die sich den politischen Vorgaben des Regimes widersetzen, sind im Iran systematisch. Sportbetreibende, die sich den politischen Vorgaben des Regimes widersetzen, laufen Gefahr, nicht nur ihre sportliche Karriere, sondern auch ihr Leben und das ihrer Familien zu riskieren. Die Repressalien reichen von massiver Einschüchterung bis hin zu Drohungen physischer Gewalt. Ein prominentes Beispiel ist der Fall des iranischen Judoko Vahid Sarlak, der sich trotz eines offiziellen Verbots entschloss, gegen einen israelischen Gegner anzutreten, was zu drastischen Vergeltungsmaßnahmen seitens des iranischen Regimes führte.
Politischer Druck im Sport: Wie das iranische Regime seine Athletinnen drangsaliert
Der Film „Tatami“ greift diese Thematik auf, indem er sich an realen Vorfällen inspiriert, in denen iranische Sportlerinnen und Sportler unter Druck gesetzt wurden, ihre Kämpfe gegen israelische Gegnerinnen und Gegner aufgrund politischer Spannungen zu boykottieren.
Im Zentrum der Geschichte steht jedoch nicht ein männlicher Athlet, sondern die talentierte Judoka Leila (Arienne Mandi). Gemeinsam mit ihrer Trainerin Maryam (Zar Amir Ebrahimi) nimmt sie an den Judo-Weltmeisterschaften in Tiflis, Georgien, teil. Als Leila im Turnier voranschreitet, stellt sie die iranische Regierung vor eine folgenschwere Entscheidung: Entweder sie täuscht eine Verletzung vor, um einen möglichen Kampf gegen eine israelische Gegnerin zu umgehen, oder sie muss mit schweren Konsequenzen rechnen – nicht nur für sich, sondern auch für ihre Familie…
Der Film veranschaulicht eindrucksvoll die moralischen und emotionalen Dilemmata, die durch die politischen Interventionen auf dem Rücken der Athletin ausgetragen werden, und lenkt den Fokus auf eine Problematik, die in der internationalen Sportwelt noch zu wenig beleuchtet wird.
Schwarz-Weiß-Ästhetik als Ausdruck von Unterdrückung und Widerstand
Das Drama besticht durch die Entscheidung in Schwarz-Weiß zu drehen, was nicht nur eine ästhetische Wirkung hat, sondern auch die emotionale Tiefe der Geschichte verstärkt. Die Nahaufnahmen von Todd Martin fangen die physische Anstrengung der Judokämpfe ein und spiegeln gleichzeitig die innere Zerrissenheit der Protagonistinnen wider, die zwischen Wut, Verzweiflung und Frustration oszillieren. Die eingesetzte Kameraführung verstärkt das Gefühl der Beklemmung, indem sie durch Türspione und -öffnungen filmt und liefert dabei ein starkes visuelles Motiv, das die allgegenwärtige Überwachung und das Leben unter ständiger Beobachtung symbolisiert. Diese stilistische Wahl vermittelt subtil, aber eindringlich, dass es kein Entkommen aus den Augen des Regimes gibt.
Insbesondere wirksam sind die Szenen, in denen Leilas Freunde und Familie ihre Kämpfe im Fernsehen verfolgen. Auch hier wird das Schwarz-Weiß zu einem wichtigen Mittel, um die politische und gesellschaftliche Realität im Iran darzustellen. Diese monochrome Bildsprache verweist auf eine moderne, aber versteckte iranische Gesellschaft, die hinter verschlossenen Türen nach demokratischen Werten strebt. Es evoziert nostalgische Erinnerungen an eine Zeit vor der Revolution unter Khomeini, als diese Modernität offener gelebt werden konnte. Gleichzeitig zeigt der Film eindrücklich, dass es immer noch Iranerinnen und Iraner gibt, die ein freies, demokratisches Land anstreben und bereit sind, dafür enorme persönliche Risiken einzugehen.
Ohne Hijab: Leilas Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung
Eine der markantesten Szenen des Films ist der Moment, in dem Leila während des Kampfes ihren Hijab vom Kopf reißt – ein symbolischer Befreiungsakt, der die erdrückende Last dieser Bekleidung inmitten des intensiven Wettkampfes verdeutlicht. Diese Geste ist mehr als nur ein physisches Manöver; sie steht für den tiefen Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung.
Dabei bleibt zu erwähnen, dass in der Realität die internationale Judo-Regelung (IJF) aus Sicherheitsgründen das Tragen von Kopfbedeckungen verbietet. Diese Vorschrift stellt für iranische Athletinnen, die religiösen Kleidervorschriften folgen müssen, ein gravierendes Hindernis dar. Da sie keine Erlaubnis vom iranischen Regime erhalten, an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen, wenn sie die religiöse Kleiderordnung nicht einhalten können. Der Zwang, sich zwischen ihrer sportlichen Karriere und der Befolgung staatlich vorgeschriebener Normen zu entscheiden, verdeutlicht die Einschränkungen, unter denen sie leben, und macht deutlich, wie stark ihre persönliche und berufliche Freiheit durch das Regime kontrolliert wird.
Im Film bleibt leider offen, wie internationale Gremien wirklich in der Lage sind, Schutz zu bieten. In der Realität wissen wir, dass ihre Möglichkeiten oft stark begrenzt sind, insbesondere wenn es darum geht, Athletinnen und Athleten vor den repressiven Maßnahmen autoritärer Regime zu schützen. Hier wirkt das Ende des Films leider etwas leichtfüßig und oberflächlich – ohne an dieser Stelle zu viel zu verraten. Doch die bittere Wahrheit bleibt, dass diejenigen, die sich gegen solche Systeme auflehnen, häufig ein Leben in ständiger Angst vor Mordkommandos und brutaler Verfolgung riskieren und letztlich auf sich alleine gestellt sind.
Zar Amir Ebrahimi: Von Verfolgung zur internationalen Anerkennung
Auch in „Tatami“ spiegelt sich die Biografie von Zar Amir-Ebrahimi wider, die selbst einen beachtlichen Weg von Verfolgung und Exil hin zu internationalem Erfolg gegangen ist. Die 1981 in Teheran geborene Schauspielerin begann ihre Karriere in iranischen Fernsehserien und Filmen, bevor ihr Leben 2006 einen dramatischen Wendepunkt erfuhr. Ein privates Video, das ohne ihre Zustimmung veröffentlicht wurde und erotische Inhalte zeigte, löste in der konservativen iranischen Gesellschaft einen Skandal aus. Unter immensem öffentlichem Druck und der drohenden Strafe, die sogar Peitschenhiebe umfassen sollte, sah sich Amir-Ebrahimi gezwungen, den Iran zu verlassen und nach Frankreich zu flüchten. Dort konnte sie ihre Karriere erfolgreich fortsetzen. 2022 erlangte sie internationale Anerkennung für ihre Hauptrolle im Film „Holy Spider“, in dem sie eine Journalistin verkörpert, die in der religiösen Stadt Mashhad den Fall eines Serienmörders untersucht. Für diese eindrucksvolle Darstellung wurde sie bei den Filmfestspielen von Cannes 2022 mit dem Preis als beste Schauspielerin ausgezeichnet, was ihren Status im internationalen Kino festigte.
Aktiver Widerstand gegen das iranische Regime
Der packende Thriller „Tatami“ entstand unter der Regie vom israelischen Filmemacher Guy Nattiv in Zusammenarbeit mit Zar Amir Ebrahimi. Die beiden Cineasten machen sich zur Aufgabe, die brutale Realität der Frauenunterdrückung im Iran in den Fokus zu rücken und jegliche Verharmlosung des herrschenden Regimes vehement abzulehnen. Der Film zeigt unmissverständlich, dass die vermeintliche „Freiwilligkeit“ des Tragens des Kopftuchs eine Illusion ist: Frauen unterliegen im Iran strikten Vorschriften, deren Missachtung mit schweren Strafen geahndet wird. Ohne die ausdrückliche Erlaubnis ihrer Ehemänner sind viele Grundfreiheiten, wie das Reisen ins Ausland, für Frauen nicht zugänglich. Diese patriarchalen Strukturen sind fest in der Gesetzgebung verankert, wie etwa der Zwang, die Erlaubnis des Ehemannes schriftlich im Pass zu führen, wenn eine Frau das Land verlassen möchte. Es macht deutlich, wie das iranische Regime den Frauen die persönliche Autonomie entzieht und sie in ihrer Entscheidungsfreiheit stark einschränkt, indem Frauen im Iran in zahlreichen Lebensbereichen von der Zustimmung ihrer männlichen Familienmitglieder abhängig sind.
Der Film ermutigt zur aktiven Opposition und schildertt, wie stark das Leben iranischer Frauen durch die strikte Kontrolle und den absoluten Gehorsam gegenüber der Regierung begrenzt ist. Selbst im Sport, wo das Tragen des Hijabs verpflichtend ist, spiegelt sich diese Unterdrückung wider. Gleichzeitig beleuchtet „Tatami“, wie schonungslos das Regime gegen jene vorgeht, die sich dem Staatsgehorsam widersetzen – oft unter Androhung von Gewalt gegen ihre Familienmitglieder. Mit großer Dringlichkeit vermittelt das Drama, dass der Preis für den Widerstand gegen das iranische Regime hoch ist, doch er erinnert auch daran, dass Mut und Zivilcourage weiterhin der einzige Weg zur Selbstbestimmung sind.
C.J.F. Schiltz 2024
Ab dem 4. September 2024 zu sehen in Luxemburg Kino Utopia